Wenn ich in den Garten schaue

Dass der Garten eine Bedeutung hat, war mir lange Zeit unbekannt. Ich bin in einem Mehrparteienhaus an einer vierspurigen Straße aufgewachsen. In direkter Nähe befand sich die Autobahnauffahrt. Die Altbauwohnung war sehr schön, aber aufgrund ihrer Lage ohne Garten. Dafür gab es zwei Balkone zum gepflasterten Hinterhof – kontrollierte Kübelnatur auf je 4m^2 Fliesenboden mit dem Ausblick auf parkende Autos. Auf einem der Balkone hatte ich als Kind ein Zwergenhaus aus Rinde und Blättern gebaut. Jeden Morgen füllte ich die Wasserschale für die Zwerge auf. Abends war sie immer leer. Dies reichte mir als Beweis für ihre Existenz und als Kontakt in die Wildnis.

Später sind wir umgezogen und hatten eine ganz kleine Gartenfläche am Haus. Am liebsten habe ich jedoch auf der asphaltierten Straße gespielt. Mit der Zeit eroberte ich auch den Kirschlorbeerbaum im kleinen Vorgarten und den Spielplatz am Ende der Straße. Allerdings war ich dabei selten allein, sondern häufig in Begleitung meiner Freund:innen. Ansonsten war das Haus mein Rückzugsort. Von meinem Zimmer aus konnte ich durch das Fenster nach draußen schauen. Der Baum bildete einen Sichtschutz zur Straße. Das Haus mit seinen festen Wänden, regelmäßigen Bauelementen und der Wärme einer Heizung vermittelte mir immer eine andere Stabilität als der Garten. Das Haus war im Vergleich solide. Es bot Schutz für mich und für alle meine liebsten Gegenstände. Der Garten jedoch war abhängig von der Natur und diese oftmals unberechenbar, überraschend, unnachgiebig und stärker.

Erst in den letzten Jahren habe ich verstanden, dass der domestizierte Außenraum eine Möglichkeit bietet die Natur zu kontrollieren, sie einzuteilen und zurück zu schneiden. Der Garten ist die Möglichkeit die Regeln des Hauses auf die Natur anzuwenden. Die Bedingungen dafür sind noch zu erkunden.